2018 traf ich in Frankreich auf neugierige Engländer, die sich nicht nur für meine Reise mit einem kleinen Boot interessierten, sondern auch für meine Motivation, dies so zu machen. Ich müsse schon ein besonderes Anliegen haben, um in einem nicht gerade komfortablen Boot solche Törns auf mich zu nehmen. Es ginge mir wohl nicht darum „Trophäen zu sammeln“, also weit gesteckte Ziele zu erreichen, viel angesteuerte Häfen aufzuzählen oder möglichst viel Meilen unterm Kiel zurückzulegen. Viel zu oft läge ich ja im Hafen und schaue mich wohl eher um, lasse die Gegend und die Menschen auf mich wirken. Ich würde wohl eher auf der Suche sein, etwas entdecken zu wollen. Solche Leute gäbe es öfters, als man glauben wolle – Leute, die viel Zeit auf ihrem Boot verbringen, dort ihren Lebensmittelpunkt einrichten und sehr zufrieden mit sich sein würden.
Damals habe ich es mehr gefühlt und geahnt, was ich denn zu finden hoffte. Wer etwas sucht, möchte sicher etwas finden. Manchmal entdeckt man auch etwas, was eigentlich zuhause ständig präsent ist. Als einer der ersten Dinge, die mir bei meiner Rückkehr nach Hamburg auffiel: hier wird sehr viel geschimpft. Ebenso scheint Arbeit das Wichtigste im Leben zu sein, immer ist sie präsent, im Gespräch (alles fürchterlich anstrengend), bei jeder Verabredung (habe keine Zeit) und im Stadtbild (hektische Menschen). Einige behaupten, dies sei das „wirkliche Leben“. Diese Phänomene waren unterwegs wirklich abwesend.
Auf meiner Segelreise am Rande der hektischen Welt entlang geht es mir nicht darum, eine Art Auszeit zu nehmen, sich für einige Zeit außerhalb des „wirklichen Lebens“ zu bewegen. Nein, ich suche Antworten darauf, ob wir auch anders Fühlen, Denken und Handeln können. Um anderes Denken, anderes Fühlen und anderes Handel zu verstehen, muss man sich aus Strukturen befreien, die einem gefangen nehmen. Langes Unterwegssein, Langfahrtsegeln scheint da eine gute Möglichkeit zu sein. Doch passiert dieses Loslassen aus Verpflichtungen, Terminen und Anspannungen nicht automatisch. Ich traf auch einige segelnde Menschen, die nach einem Fahrplan unterwegs waren. Sie hatten zum Beispiel irgendwo schon einen Rückflug gebucht. Da mussten sie dann hin, egal, wie schön es gerade ist, wie die eigene Laune ist oder das Wetter ist.
Diesmal war auch ich sehr schnell unterwegs, weil ich ja rund Spanien wollte, also mit einer Zielvorgabe. Ich hatte einen Zeitplan, der erst ein wenig in Aber W‘rach, aber vor allem in Nordspanien ausgebremst wurde. Das waren Orte mit längeren Hafentagen, an denen mir deutlich wurde, Zeit haben ist etwas sehr Wichtiges. Das Eine ist, es zwingt mich keiner, im Herbst 2023 in meinem Heimathafen zuhause einzulaufen. Das Andere ist ein besondere Wert: der Zeit beim Verstreichen zuzuschauen muss man lernen. Ich muss nichts mit „meiner Zeit anfangen“, ich muss nichts planen oder eine Liste abarbeiten. Alles kann verschoben werden oder ist gar überflüssig, muss nicht sein.
Und so habe ich in Aviles entschieden, einmal für länger innezuhalten, um das Gewesene aufzuschreiben, um es nicht zu vergessen. So langsam wurde und wird es nämlich schwierig, mich an all die kleinen Ereignisse zu erinnern, die mich beeindruckt haben. Das Besondere des Erlebens und Erfahrens verblasst einfach zu schnell, insbesondere, wenn man sich mit dem täglichen Handwerk des Segelns auseinandersetzen muss.
Januar 2023
Veränderungen
In den letzten Wochen, ich schreibe dies Anfang Juli 2023, bin ich öfters mit spanischen Seglern ins Gespräch gekommen. Sie waren sehr erstaunt, als ich von meiner Reiseroute erzählt habe. Die spanische Nordküste, das Cabo Ortegal und die Costa de la Muerte seien alles Reviere, die man mit sehr viel Vorsicht befahren müsse. Große schwere Boote seien da von Vorteil, mit so einem kleinen Boot von unter 8 m sei das eine sportliche Leistung und wohl auch mit viel Seeerfahrungen verbunden.
Ich erinnerte mich, dass auch Franzosen letztes Jahr nach der Rundung des Finistére, der Passage durch den Chenal du Four und durch den Raz du Seine ähnliches gesagt haben. Ebenso wie 2018 mir Engländer eine wissende Achtung entgegenbrachten, als ich so von der Rundung des Cap de la Hague erzählte und von der Querung des Ärmelkanals.
Manchmal vergesse ich, dass ich mit einem sehr kleinen Boot unterwegs bin. Zwar habe ich ab und zu gedacht, ein paar Meter mehr und ein paar Tonnen mehr und das Leben an Bord wäre einfacher, doch das verdränge ich schnell wieder. Für mich ist meine amica eine Normalität, an die ich mich gewöhnt habe. Aus dieser Perspektive heraus erfahre ich den Umgang mit See, Wind und Entfernungen, die zu bewältigen sind. Das ist ein Besonderes meiner Reise, die Art der Planung eines Törns, der Respekt vor der atlantischen Dünung, insbesondere an den Küsten, das Leben an Bord, unterwegs und in den Häfen. Ich kann aber nicht verdrängen, dass ich einhand unterwegs bin, doch über das Alleinsein werde ich später schreiben.
Neben den Erfahrungen mit den Menschen an Land sind dies natürlich auch Dinge, die mich prägen, die mich verändern. Es ist nur nicht so sichtbar und einfach zu formulieren. Klar, in Frankreich kommt man nicht an der respektvollen Höflichkeit vorbei, in Spanien erlebt man eine Offenherzigkeit und große Hilfsbereitschaft in vielen Dingen. Ich müsste schon ein Idiot sein, wenn ich dies ignorieren würde. Und es führt selbstredend dazu, dass ich mich anpasse und es genieße.
Es fällt mir gar nicht mehr auf, dass ich auf einer großen Reise bin, so sehr habe ich mich daran gewöhnt. Mein Lebensmittelpunkt ist jetzt an Bord, mit all den Einschränkungen. Ich habe den weiten Horizint, den blauen Himmel und das große Meer, wozu braucht es da Komfort und Bequemlichkeit? Die Dimensionen meines Bootes habe ich inzwischen intuitiv drauf, es gibt keine blauen Flecken mehr. Alles hat seine überschaubare Ordnung, ich muss eigentlich nie etwas suchen.
Wäsche waschen in den Lavanderias ist inzwischen zur Routine geworden. Dem Einkaufen in den Supermercados Frios oder Eroski kann ich einen Erlebnischarakter abgewinnen. Was ist das bloß, was ich da gerade in der Hand halte? Klar, am Schinken komme ich nicht vorbei, am besten frisch abgeschnitten: diez lonchas de Serano Reserva, por favor. Der Googleübersetzer hilft fasst immer weiter. Auch die Entdeckung des Parafina als Ersatz für Petroleum, sowie Alcohol de quemar ohne Parfümierung gehört dazu.
Und dann ist da natürlich noch die See, der Wellengang, das Wetter, das Klima, der Himmel und der Horizont sowie Delfine. Ich habe Frieden mit dem Meer geschlossen, dass mich mehr oder weniger ständig bewegt, auch in den Häfen. Es findet kein Ausgleichen mehr statt, die Bewegungen gehören zu mir. Ruhig schlafen kann ich auch, wenn amica in den Leinen ruckelt. Unterwegs ist es selbstverständlich geworden, nur zu krabbeln oder zu sitzen, stehen oder gehen sind ein absolutes Tabu. So tut mir das Meer nichts an.
Das Wetter ist hier in Spanien anders, hier ziehen kaum Fronten eines Tiefs durch, nur im Winter werden die Küsten gestreift. Dies konnte ich im letzten Dezember erleben und aus der Ferne in Hamburg beobachten. Selbst im Mai kam es noch vereinzelt zum Durchlaufen von Fronten, dann war es kalt und windig und die See hoch. Zugleich machte ich an der spanischen Nordküste schon erste Erfahrungen mit dem Phänomen heißes Spanien. Vormittags ist es relativ friedlich, ab mittags frischt es zunehmend auf. Jetzt hat sich inzwischen ein Hoch zwischen den Azoren und hier, sowie der berühmte Keil zur Bretagne stabilisiert. Der drückt die Dünung aus dem Norden platt. Hier an der Westküste hat sich der Nortada, der Nordwind eingestellt. Mit dem typischen Rhythmus, morgens friedlich, nachmittags stark. Dieser Rhythmus bestimmt auch das Segelverhalten, nichts mit Ausschlafen, es heißt immer früh los und mittags wieder in den Hafen sein. Dann wird Siesta gemacht, es wird sowieso viel zu heiß. Ich mache das auch schon im Hafen, vormittags wird alles erledigt, was so zu tun ist, ab Mittag packe ich mich dann in eine schattige Ecke. So lebt man halt im Süden.
Bei der Planung meiner Umrundung Spaniens und Portugals habe ich auch meine physische Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Insbesondere galten meine Überlegungen den klimatischen Bedingungen im Süden, wo es doch mal ganz schnell weit über 30 Grad heiß werden kann. So war von vornherein klar, den Süden der iberischen Halbinsel, also etwa ab Lissabon werde ich nur im Winterhalbjahr besegeln. Im letzten Jahr, 2022, hat mich die Hitzewelle in der Normandie überrascht. Mein Thermometer hat den Höchstwert festgehalten, 41,3 Grad. Zum Glück war das nur ein Tageswert, danach habe ich eine Zeitlang bei 22 Grad gefroren. Doch war es ein Zeichen dafür, dass Temperaturen in Frankreich, Spanien und Portugal im Sommer extrem ansteigen. Nun hat Spanien bereits mehr als eine Hitzewelle hinter sich und selbst hier im Norden an der Atlantikküste ist es viel zu warm. Dazu kommt dann noch ein UV-Index von 10. Spanien und Portugal im Sommer ist für einen Seglernomaden nicht zu empfehlen, besonders, wenn man nicht mehr zu den Jüngsten gehört. Ich muss mich vorsichtig bewegen, zur Törnplanung gehören jetzt auch der Sonnenstand und die Temperaturen. Hier in den Rias den Sommer zu verbringen, ist für viele eine Option.
2. Juli 2023