Vielfach wurde und werde ich in letzter Zeit von Leuten angesprochen, die meinen, was ich doch für eine tolle Reise mache oder gemacht habe. Insbesondere erstaunt es mich immer wieder, dass auch langjährige SeglerInnen kaum eine Vorstellung davon haben, wie das so geht mit diesem Boot. Sie würden ja gerne selber solche Reisen unternehmen. Ich glaube das nicht, schon in der Planung denke ich, würde viele auch mit einer 10m-Yacht einknicken, ob der Anforderungen und Strapazen, die da auf einem zukommen. Nicht umsonst scheint hier in diesem Revier die Mindestgröße bei 12 m zu liegen. Alles andere wird als zu klein betrachtet.
Nur wenige Leute habe ich getroffen, die sich ohne viel nachzufragen ein Bild davon machen konnten, wie anstrengend das alles ist. Insbesondere muss ich da die seefahrenden Engländer hervorheben und auch diejenigen unter den Fahrtenseglern, die ebenso länger unterwegs sind. Die wissen dann schon, was es heißt, 4 Monate auf einem 7-Meter-Boot zuzubringen. Zudem gehören Engländer ja meist auch zu den Kleinbootseglern unter der 10m-Grenze. Zitat von meinen englischen Freunden: Die größere Boote haben, müssen viel arbeiten und haben keine Zeit zum Segeln. Länger mit dem Boot unterwegs zu sein, ist auch eine Qual. Abgesehen von den vielen Unbequemlichkeiten baut man dazu körperlich ab.
Um es einmal ganz deutlich zu sagen, was ich hier treibe oder getrieben habe ist Extremsegeln. Nicht in der Kategorie schneller und weiter, sondern härter, unbequemer und schlauchender. Und das kann nun einmal nicht jeder aushalten. Viele verbinden mit so einer Reise Sommer, Sonne, Kaffeetrinken, Sonnenuntergänge, Spaß und Erholung. Nein, das ist es nicht, hier ist kaum etwas entspannend. Ich habe nicht vier Monate Urlaub auf dem Wasser gemacht, ich habe auch keine Auszeit gehabt, wovon denn auch. Es ist eher eine Entdeckungsreise gewesen, Erfahrungen machen und beobachten – ein Projekt? Oder auf der Suche sein, wie es mir ein Engländer auf den Kopf zugesagt hat?
Von dieser schönen Segelwelt, wie sie in Hochglanzbildern dargestellt wird, Sonne und leichte Brise, ist dies hier weit weg. Sonnenschein geht oft mit Flauten zusammen, da ist dann nichts mit Segeln. Wenn die Sonne den ganzen Tag brennt und du ihr 12 Stunden lang ausgeliefert bist, ist das keine Erholung. Es gibt keinen Schatten, kein Plätzchen, wohin du dich verziehen kannst – keine Poolbar. Ich bin öfters im Hafen geblieben und habe mich unter Deck verzogen und lernte die Sonne zu hassen. Auf größeren Yachten haben sie in diesen Gegenden und südlicher oft ein Bimini-Top, ein „Dach“ im Cockpitbereich, oder ein größeres Sprayhood im Niedergang. Das ist auch bitter nötig, reist man in den Süden. Auf kleinen Booten lässt sich dies nicht verwirklichen. Und wer kennt das andere Extrem schon, nach vielem Regen oder Nebel die Feuchtigkeit im Boot mühsam mit Elektrolüftern auszudunsten. Es muffelt manchmal gewaltig.
Damit kommen wir zum wesentlichen Bestandteil der Reise, das Boot. Meine „amica“ ist klein. Die Seetüchtigkeit wird u.a. durch das Brückendeck gewährleistet, eine Verbindung zwischen den Seitendecks im Niedergang zur Kajüte. Ein- und Aussteigen ist ganz schön unbequem, erst einen halben Meter hoch und dann etwas mehr als einen Meter runter bis zum Fußboden mit nur einem Tritt. Eine Treppe würde viel zu viel Platz wegnehmen. Wenn das Schiebeluk ganz auf ist, hast du für diese Kletterei etwa einen Platz von 60×60 cm. Machst du das Schiebeluk nicht ganz auf, gibt es Beulen am Kopf und/oder blaue Flecken an Schulter und Rücken. Unterwegs in die Kajüte zu kommen, ist bei Seegang kaum möglich. Dann gibt es nichts zu essen oder gar einen Kaffee, der ja immer in einer Thermoskanne bereit steht. Besonders blöd ist es, wenn die Wasserflasche aus der Halterung rutscht und gaaanz unten in der Kajüte landet. Dann ist schnelle Akrobatik verlangt oder es gibt keinen Schluck bis zum nächsten Hafen. Es gibt also keine Gemütlichkeit bei einer Tasse Kaffee im Cockpit. Ach ja, eine Nasszelle mit WC gibt es selbstverständlich nicht an Bord, die Pütz muss reichen. Ich könnte diese Beschreibungen des Bordalltags noch umfangreich ergänzen, aber lassen wir das.
Meine „amica“ ist auch sportliches Boot. Schnelles Segeln ist schön, flinke Manöver ebenso und die Wendigkeit im Hafen beeindruckt so manchen. Unterwegs bei Seegang klemmt man sich fest, stützt sich mit den Füßen ab, da kann man sich nicht mehr frei bewegen. Und das stundenlang. Da sind mir schon öfters die Beine eingeschlafen und ich musste mir eine Technik entwickeln, wie ich von einer Pobacke auf die andere wechseln kann, ohne meine Sitzposition zu verlassen. Das geht!! Gut, auch die Arme werden manchmal müde. Da ist das Wechseln nur bedingt möglich, denn sich einfach auf die andere Seite nach Lee zu setzen, geht in der Regel nicht. Auch 8 Stunden oder gar mehr unter Motor fahren ist keine Erholung.
Beim Segeln ist meine Augenhöhe etwa einen Meter über Wasser, da erscheinen Wellen schnell sehr groß und die klatschen logischerweise auch schneller über Deck. Das erfordert dann eine permanente Aufmerksamkeit gegenüber der See, will man möglichst wenig Brecher an Deck haben. Vier Stunden in der See konzentriert zu segeln, schlaucht gewaltig.
Nun werden vielleicht einige anmerken, der hat doch einen Windpiloten. Diese Selbststeuerungsanlage ist wirklich hervorragend, unter vielen Bedingungen, aber eben nicht allen. Wenn kein Wind geht, funktioniert sie nicht, logisch. Vor dem Wind ist „amica“ oft zu schnell, besonders bei schwachem Wind. Da spüre ich auf der Backe auch keinen Luftzug, fahre aber bei 2 Bft schon 3 Knoten. Auch beim Surfen, also Geschwindigkeiten oberhalb der 6,5 Knoten, lasse ich die Pinne nicht mehr los. Es gehört viel Gefühl dazu, den richtigen Zeitpunkt zwischen drucklosem Steuern und Pinnendruck abzupassen, damit „amica“ nicht querschlägt. Und dann gibt es noch zu hohe See. Wenn „amica“ über die Wellenspitzen kippt, dann schwingt sie schnell von einer Seite auf die andere und wir haben plötzlich Wind von der Seite. Und zusätzlich kommt das Heck sehr frei, das Ruder des Windpiloten ist dann nicht mehr im Wasser. Für so etwas ist der Windpilot auch nicht gedacht, aber halben Winds das Boot laufen zu lassen, ist mit dieser Automatik einfach klasse.
Ich habe auf dieser Tour die Grenzen gefunden, was ich mir selbst noch antun kann und wo auch für ein kleines Boot Schluss ist. Ohne absolute Nippzeit und Flaute keine Raz Blanchard am Cap La Haque mehr. Nachträglich bin ich auch froh gewesen, nicht an der Südküste Englands weitergefahren zu sein. Da gibt es auch noch Races und Eddies, besonders das Portland Race, das nur kurzzeitig zwischen 2 Tiden passierbar ist. Dies betrifft natürlich in erster Linie die Küstensegler. Wer eine große Yacht hat, umfährt diese gefährlichen Gebiete weiträumig.
Meine „amica“ ist eine alte Dame, so hat es eine Holländerin formuliert, immerhin jetzt 46 Jahre alt. Zwar sind Waarschips sehr stabil gebaut, verklebt und verschraubt, doch wie lange halten denn Leimnähte? Ich habe leider feststellen müssen, andauerndes in die Welle fallen ist nicht gut. Die leckende Stelle von „amica“ ist definiert und deshalb auch einfach zu reparieren, doch möchte ich nicht, dass sich noch andere Stellen entwickeln, an denen Leimnähte aufgehen. Also bitte nur noch sanftes Segel.
Und ich werde vielleicht auch zu alt für so eine Tour. Mir fehlt der ausreichende Schlaf, meine Muskeln schmerzen, gut, die blauen Flecken sind weniger geworden, aber dafür haben sich Verspannungen im Hals und Rücken entwickelt, die letzten Tage waren einfach schon zu kalt. Die einseitige Haltung auf langen Törns tut ihr Übriges. Manchmal hatte ich auch den Eindruck, mir fehlt es langsam an ausreichender Kondition und Kraft. Dann wird man fahrig beim Anlegen, ist aber immer noch gerade eben gut gegangen. Das sind solche Dinge, wie die Fender falsch angebracht zu haben, die Leinen nicht richtig klar gelegt zu haben und zu langsam beim Ausbringen der Leinen zu sein. Und dass die neuen noch harten Segel nicht so einfach fallen wie die alten, hat mich auch so manchmal genervt.
Das Obige habe ich geschrieben, um es deutlich zu machen, es ist hartes Segeln. Und ich habe mir dies zugetraut. Diese Single-Hand-Regattasegler in Frankreich gehen auch bewusst Strapazen ein und es zählt nur, dabei gewesen zu sein, es gemacht zu haben. Da gibt es sicher eine Parallel zu meinem Törn. Dies gehört schön zu den positiven Seiten der Reise, es gemacht zu haben, es ausgehalten zu haben und irgendwie zu einem Kreis von Seglern zu gehören, die dem Meer etwas abtrotzen. Dies stärkt enorm das Selbstbewusstsein und das strahlt aus. Es hat sich eine innere Ruhe in mir entwickelt, und ein anderer Blick auf die Welt.
Der schönste Satz ist vielleicht: Ich bin als Norddeutscher losgefahren und komme als Europäer zurück. Es gibt kein Zentrum mehr, das ich Heimat nennen möchte, in den befahrenen Gegenden fühle ich mich genauso zuhause. Es hat sich eine Verbundenheit mit den Küstenregionen von England, Frankreich, Belgien, ja auch den Niederlanden und Friesland entwickelt. Ich glaube, ich könnte dort überall leben. Ich habe wohl viel zu oft einen Urlaub mit Boot in den skandinavischen Ländern verbracht, dort kenne ich dieses Gefühl nicht. Das sind da schöne Gegenden, ein tolles Segelrevier, aber mehr auch nicht. Da kann man der See nichts abgewinnen, ist höchstens froh, schnell einen sicheren Hafen anlaufen zu können, weil es zu unbequem wird.
Dabei sind mir durchaus die Unterschiede gerade in Bezug zu England und Frankreich aufgefallen, die Menschen verhalten sich anders als bei uns. Die Lebenskultur in den Niederlanden und auch teilweise Belgien ist der unseren sehr ähnlich. Hektik im Alltag, teilweise Arroganz gegenüber dem Anderem. Im Gespräch habe ich gespürt, da ist eine Unehrlichkeit in deren freundlichen Umgangsform. Geschäftiges Gerede eben, das nicht nach tieferem Sinn fragt oder vielleicht auch keine Ahnung davon hat.
In Frankreich erlebte ich zum großen Teil ein offenes Gesicht, die sprechen ja auch mit ihrer Gesichtsmuskulatur. Ein Oui oder ein Pourquoi sieht auch im Gesicht so aus. Ob die sich überhaupt verstellen können? Ich kenne nun keine urbanen Zentren wie Paris, da mag das alles anders sein, die Menschen verhaltener und geschliffener. Wie in jeder europäischen Großstadt gleicht sich wohl alles an. Hier an der Küste ist es noch mehr Frankreich zu spüren und natürlich lästern sie hier über die Pariser. Und ja, ich kenne die politische Landschaft an der Küste, insbesondere das mit den Fischern ist mir sehr nahegegangen. Zentralismus war schon immer ein Problem in Frankreich und nun gibt es auch noch unverständliche EU-Entscheidungen über die Köpfe der Betroffen hinweg. Bei welchen Rattenfängern die ihr Kreuz machen, ist mir dann schon klar.
Hatte ich bei meiner in Ankunft in England zunächst etwas enttäuscht auf die Art der Kommunikation reagiert, ist mir dann doch von vielen englischen Seglern das Bild zurechtgerückt worden. Die Gegend von Dover bis Southampton ist eher dem Einfluss des urbanen Molochs London zuzurechnen. Die Menschen dort kommen nur schwer aus sich herausraus. In der Kneipe nach ein paar Bieren soll das ja leichter fallen. Wenn du sie dann in Frankreich triffst, sind das sehr mitfühlende Gesprächspartner. Ich habe gerade von diesen Seglern sehr viel wissende Anerkennung erfahren, kein oberflächliches Schulterklopfen (Toll, was du da machst), sondern ein nachfragendes tiefes Verstehenwollen. Das hat mich mit allen negativen Erfahrungen an der englischen Küste sofort versöhnt. Und manchmal denke ich sogar, diese Engländer sind europäischer als wir. Jedenfalls in den Werten, im Fühlen, es gibt bei ihnen ein Jenseits des Business. Handel ist ja schön, aber wenn darüber jegliche Ethik, jegliches moralische Verhalten verloren geht, stimmt etwas nicht mehr mit dieser Welt.
Normannische Fischer fischen hauptsächlich Krustentiere und Muscheln. Nach französischem Recht dürfen die erst ab Oktober gefangen werden, um die Bestände zu erhalten. Frankreich hat hier EU-Recht in Landesrecht umgesetzt, England hat dies nicht getan. Und so kommen die englischen Fischer im September auf die französische Seite herüber und fischen schon einmal. Noch sind sie ja in der EU und dürfen das. Wer soll diese Ungerechtigkeiten erklären? Der Zorn der Franzosen ist mehr als verständlich. Das Leben an dieser Küste ist sicher nicht von Reichtum geprägt. Moderne Sklaverei kann man nicht übersehen. Auffallend viele Afrikaner dingen sich als Helfer auf Märkten und in der Fischerei. Ja, man kann auch wegschauen und nur die bunten Seiten betrachten, viele Touristenshops mit Mode und anderen Krimkrams.
Und natürlich bin ich auch mit denjenigen Langfahrtsegler zusammengetroffen, die einfach ein anderes Leben wollen, abseits von sich permanent beweisen müssen, Erfolg haben müssen und dies alles auch zu zelebrieren, zeigen zu müssen. Ich habe mich dann doch gewundert, wie viele Menschen es gibt, die bei diesem System nur fühlen: bäääääh! Pourquoi? Why? Was soll das? Leben ist zu vielseitig, um sich in dieser Maschine abzumühen, selbst deren Bestandteil zu werden und daran zu leiden. Und am Ende dann festzustellen, ja war‘s das? Aber wer stellt sich diesen Fragen noch.
Die Gruppe der Langzeitsegler scheinen im Unterschied zu den Welt-, Karibik-, Island- und Grönlandseglern sehr groß zu sein. Es sind keine vorübergehenden Aussteiger auf Abenteuersuche, keine „Wir-wollen-einmal-um-die Welt-Segler“ und keine Jäger nach Erfolgen, Rekorden und Besonderheiten. Logischerweise lässt sich dies nicht vermarkten und man sucht verschriftete Erfahrungen auf dem einschlägigen Büchermarkt vergebens. Sie haben ihr Leben an Land mit dem Leben an Bord getauscht. Öfters liegt man im Hafen, schließlich will man ja nicht irgendwohin, sondern nur einfach da sein, in einer anderen Welt.
Die Vorstellung, dass sich so etwas nur leisten kann, wer genügend Geld hat, ist falsch. Man muss es wollen. Eher scheint es umgekehrt zu sein, die finanziell Begüterten trifft man hier gar nicht. Die lieben wahrscheinlich Bequemlichkeiten zu sehr, die man sich alle kaufen kann. In der Regel trifft man hier Menschen ab 50 aufwärts, die alle ihre Erfahrungen gemacht haben und nachdenklich geworden sind. Aber auch einige Jüngere ab 30, die gar nicht erst in diese Welt eintauchen wollen und wissen, dass sie sowieso bald den Einstig in eine erfolgreiche Karriere verpasst haben. Allen gemein ist die Suche nach einer anderen Wertigkeit in dieser Welt.
Gespräche unter ihnen drehen sich nicht nur um Ausrüstung, Technik, Erfahrungen mit Strömungen und Wind. Schnell kommt man auf eigene Befindlichkeiten: Kannst du noch? Warum bist du hier? Und auf den Zustand der Welt oder Region, in der man sich gerade befindet. Dauerbrenner ist der Dreck im Meer, im Kanal schwappt da so einiges hin und her und den rücksichtslosen Spaß, den man sich mit und auf den Kreuzfahrern gönnt (Abgase, Luftballons steigenlassen).
Ach ja, die Sache mit den Kassen der Supermärkte, ich wollt es eigentlich schon viel früher berichten, so sehr hat mich das beeindruckt. Bei uns kommt man mit dem Einpacken gar nicht hinterher, wie an den Kassen gescannt wird. In Frankreich wird schon einmal ein längerer Plausch gehalten, entweder man bringt Geduld mit oder beteiligt sich. Auch in England ist die Geschwindigkeit des Scannens äußerst reduziert. Eine Frage von Lebensqualität versus Arbeitsproduktivität oder eher, wer verdient daran wirklich?
Leben ist mehr, als sich an Oberflächlichkeiten zu begeistern, die Konsumgesellschaft so bieten. Die Seele verkümmert, das authentische (Er-) Leben geht verloren, die Sensibilität für Anderes ist abgestorben und wofür? Multimedialandschaften ohne Ende, Anhäufung von Unnützen, Geld auf dem Konto und Aufzählen von fragwürdigen Erfolgen.
Die Intention unter uns (ich rechne mich inzwischen dazu) Langseglern ist identisch, wir suchen nachdem, was uns verloren gegangen ist. Und wir finden einen großen Reichtum, der uns Staunen lässt und begeistert. Nur dies mit anderen zu teilen, die nicht in dieser Erfahrungswelt waren, fällt sehr schwer.