Was bleibt
Hin und wieder zurück. Ich habe es geschafft! Nur das ist wichtig. Und es war kein Urlaubstörn, das merke ich immer mehr. Die letzten 3 Wochen waren eher von der Disziplin geprägt: Ablegen, Fender und Leinen verstauen, Segelsetzen, so gut es geht Strecke machen, Segelbergen, Leinen und Fender raus, Anlegen, Aufklaren, morgens oder abends ab und zu einkaufen, Essen machen, abwaschen. Es passiert eine Menge am Tag. Das gehört dazu, jeden Tag.
Und There and Back Again, lieber Bilbo. Du hattest Recht, man kommt anders wieder als man losgefahren(-gegangen) ist. Bleibt das so, oder passt man sich schnell wieder an? Schon in Cuxhaven beginnt das Verblassen und Vergessen. In welchen Häfen war ich noch? Was bleibt ist das Gefühl einer anderen Welt, die da draußen existiert. Es sind Erfahrungen, die man nicht vergessen wird und Herausforderungen, die man bestanden hat. Unterwegs sein ist doch etwas anderes, als man das planen kann oder auch nur vermitteln kann.
Meine amica hat durchgehalten, davon war ich zu Beginn der Reise nicht einfach ausgegangen. Sie hat mich sicher zurückkehren lassen. Ein alter Vierteltonner in ungewohnten Revieren, ziemlich weit weg für ein Boot mit einer Länge von 7,25 m. Keine Schäden, keine Reparaturen. Hier und da mal einen Bolzen anziehen, ein wenig optische Pflege. Es bleibt ja immer die bange Frage, was darf man einem alten Boot zutrauen, was hält es noch aus.
Auch ich habe es überstanden, klar, ein wenig abgebaut, aber gesund und hungrig.
Was hat mich besonders beeindruckt?
- die Steilküste von Le Treport bis Etretat
- der Tidenhub bis zu 8 m und trockenfallende Zufahrten
- die Strömungen bis hin zu races
- die sich schnell aufbauende See
- eigenartige Wolken
- Höflichkeit und Respekt der Menschen in Frankreich
- leben und leben lassen
- und trotz allen Schreckens: liberté toujours
Erfahrungen mit dem Revier
Die französische Küste kennt viel Tidenhub und kräftige Strömungen, das war für mich die Herausforderung. Der Nautical Reeds und noch besser der Bloc Marine enthalten dazu viel Informationen. Leider kann man aus diesen Handbüchern nur wenig Informationen entnehmen, wie denn nun genau die Strömung vor der Hafentür läuft. Das wissen aber die Menschen im Harbour-Office sehr genau, oft findet man auch entsprechende Aushänge in den Häfen. Im Unterschied zur deutschen Bucht, in der auf See wenig Strömung vorhanden ist, werden im Kanal große Wassermassen bewegt. Sehr schnell kann sich deshalb eine große Stromsee aufbauen und es gibt diese Ecken mit den Raz/races/Stromschnellen. Dazu diese Dünungen von weit her, lang, regelmäßig. Meteofrance.com veröffentlicht einen sehr guten Wetterbericht, der auch den Seegang genau beschreibt. Da darf man sich dann wundern, wenn 2 – 4 m See angesagt werden, wo doch einmal gerade 4 – 5 Bft herrschen. Es stimmt aber in der Regel. Auch bei 3 – 4 Bft laufen da schon brechende Wellen mit 2 m Höhe. Also den Respekt vor diesem Seegebiet bekommt man ganz schnell. Das ist schon alles spannend, erlebnisreich und wenn man es geschafft hat, ist man darauf schon ein wenig Stolz.
Soll man eine solche Reise zweimal machen?
Ich bin da gespalten. Einerseits dieser Wunsch, das alles noch einmal zu sehen und zu erleben, andererseits aber auch die Erfahrung, es wir langweilig. Die Bretagne und England stehen noch aus. Ab Brest ist es wesentlich dichter nach Spanien und Portugal wie nach Hause. Eine andere Idee.
Zu den Kosten einer solchen Reise
Meine amica war gut ausgerüstet, die Anschaffungen lasse ich hier mal beiseite, sind sie doch für mehr als eine Tour nützlich. Schäden gab es unterwegs nicht, also fielen auch keine Reparaturkosten an. Das Hafengeld hat mehr als die Hälfte aller Ausgaben ausgemacht, dies hatte ich auch so erwartet. Die hohen Hafengebühren zahlt man an der holländischen Küste und ab Le Havre nach Westen, für meine Bootsgröße unter 8m immer so um die 20,- €. Le Havre mit 22,50 € war der teuerste Hafen. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass der Service in französischen Häfen sehr gut ist, bis hin zu Wifi free. Insgesamt bin ich aber deutlich unter meiner Vorgabe von 1000,- € pro Monat geblieben und das lag nicht nur daran, dass ich schon vorher so viel Proviant eingepackt hatte. Selbst wenn man zu zweit unterwegs ist, glaube ich nicht an wesentlich höhere Kosten. Lebensmittel sind nicht der große Posten. Dass zu Hause weiter Kosten anfallen, ist schon eher eine finanzielle Belastung. Wirklich bewusst gespart habe ich an Kommunikationskosten (Telefonieren, mobiles Internet) und dem Essen gehen.
Allein sein
Wann ist man eigentlich allein? Naja gut, es ist keine zweite Person an Bord, mit der man sich austauschen könnte. Aber das Gefühl des Alleinseins hat sich bei mir nicht eingestellt. Ich habe mich, ich habe meine amica und ich habe viele Dinge, mit denen ich mich beschäftigen kann und muss. Zudem bin ich die meiste Zeit im Hafen und an Land. Dort trifft man viele Leute, mit denen man sich unterhalten kann. Zuweilen habe ich mich unter Deck verzogen, weil mir die ständigen Erklärungen (meist in englischer Sprache, denn Französisch kann ich nun mal nicht) zu meinen „jolie Bateau“, zur Windsteueranlage und anderen Details zu viel wurden. Kommunizieren ist ja, wenn man Küstenfahrt betreibt, überhaupt kein Problem. Mobil telefonieren, SMS schreiben, Internet und Email ist permanent möglich.
Anders ist dies natürlich unterwegs, alles muss wohlüberlegt angegangen werden, fast jeder Handgriff ist vorausschauend geplant. Es gibt ja niemanden, dem man sagen kann: mach mal die Leine fest, zieh mal an der Schot oder wo bleibt der Kaffee! Jeder Schritt will wohlüberlegt sein und sei es, sich einen Schokoriegel aus der Kajüte zu holen. Es gibt einfach niemanden, mit dem man sich die Arbeit teilen kann. Also hatte ich immer verdammt viel zu tun, besonders beim Aufklaren des Bootes nach dem Törn. Auch unter Deck muss ich immer alles allein aufräumen und sichern, denn eine kleine Unachtsamkeit rächt sich schnell, z. B. wenn sich die Abwaschschüssel ausleert, weil sie nicht sicher eingeklemmt war.
Vielleicht eine besondere Eigenart beim Einhandsegeln: ich rede mit mir selbst und meiner amica. Dabei gehe ich mit mir immer sehr streng um: Was für eine Quatsch hast du denn da wieder gemacht! Du bist doch ein Blödmann! Kannst du nicht mal die Leine richtig belegen! Zum Glück hört mich ja keiner, ich glaube mit ‚der hat ja eine Schraube locker‘ wäre ein Kommentar noch höflich.
Aber auch meiner amica muss ich manchmal sagen, wenn sie wieder eigenwillig den Kurs ändert (Wellen, Winddreher): du fährst jetzt bitte dahin. Dann unterstütze ich sie an der Pinne, damit der Kurs wieder stimmt. Und Lob bekommt sie auch, wenn sie eine Welle klasse angeschnitten hat (keine Spritzer an Deck). Okay, ihre Antworten muss man erahnen und interpretieren, das summiert sich dann in der Aussage: ein klasse Boot.
Dass man auch mit vielen Menschen um sich herum allein sein kann, habe ich beruflich oft genug erfahren. Ich habe mich auf der Tour nicht allein gefühlt. Mit sich gut zurechtzukommen ist ein erhebendes Gefühl: ich kann das, ich schaffe das…
Die Empfinden und Erfahrungen auf meiner Reise direkt mit Menschen zu teilen, ist natürlich noch etwas ganz anderes.
Sicherheit
Ein Dauerthema in jedem Hafen mit anderen Seglern war die Sicherheit an Bord und beim Segeln. Der Austausch von Erfahrungen und Einschätzungen stand dabei im Mittelpunkt. Allein unterwegs machte ich mir ja ständig Gedanken über mögliche gefährdende Situationen und das machten andere ebenso. Immer wieder wurde der schlimmste Fall besprochen: das Über-Bord-gehen. Erstaunlich fand ich die Einschätzung von vielen Fahrtenseglern, dass auch mit der perfektesten Ausrüstung die Überlebenswahrscheinlichkeit im Wasser nicht sehr groß sei. Da stünden einfach zu viele biologische/medizinische Fakten dagegen (Schnappatmung mit Wasserschlucken, Kreislaufversagen, Auskühlung). Das Hauptaugenmerkt sollte vielmehr in der Vermeidung solcher Situationen liegen.
Angurten mit einer Lifeline scheint die richtigen Antwort zu sein, doch habe ich in den Gesprächen mitbekommen, wie wenig sich Segler um die Anbringen von Gurten und die Länge einer Sicherungsleine Gedanken machen. Es nützt ja recht wenig, wenn man zwar mit dem Boot fest verbunden ist, aber an der Bordwand hängt. Der Bewegungsspielraum muss so klein sein, dass man gar nicht erst über die Deckskante hinaus rutschen oder fallen kann. Klar ist das unbequem und dabei muss man sich sicher öfters an anderen Punkten einhaken. Dabei gilt das Zwei-Haken-Prinzip, ein Punkt ist immer fest, also erst mit dem zweiten Karabiner einhaken, bevor man den ersten löst.
Doch viel intensiver habe ich unterwegs mit vielen Leuten über das sichere Handling eines Bootes gesprochen. Im Prinzip sollte man mit verbundenen Augen sein Boot bedienen können. Das heißt also, immer zu wissen, wo sich was befindet und wie es bedient wird. Nachdenken macht man vorher – vorausschauendes Handeln. Aber man sollte auch alle möglichen Verletzungsgefahren minimieren. Da gibt es auf jedem Boot wahrscheinlich noch viel zu tun. Unterwegs war ich ständig dabei, das Handling zu verbessern und hier und da Unnützes abzubauen und auch Verletzungspunkte umzubauen.
Beim Thema Verletzung wurde immer wieder die mezinische Versorgung an Bord thematisiert. Wer hat eigentlich noch eine wasserdichte Erste-Hilfe-Box an Bord, die auf aktuellen Stand ist? Welche Medikamente sollten darin sein. Können wir mit Verbänden und Medikamenten umgehen. Und was muss an Bord sein? Wer nicht gerade seine Box erneuert hatte, schmunzelte dabei etwas. Doch dies Thema ist im akuten Fall ernster, als man sich das ausmalen kann.
Die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu kennen gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen, bevor man in See sticht. Ich habe vielfach die Meinung gehört, es gäbe Menschen, die hätten auf See nichts verloren, gerade in Revieren, die man als anspruchsvoll bezeichnet. Dass man über alle Bedingungen (Wetter, Strömungen, Seegang, Schiffsverkehr und Fischerbojen) im Revier informiert ist, gilt als Selbstverständlichkeit. Tja, manche fahren da sehr blind herum.